Sold Out: Anlass ist ausverkauft. Es gibt keine Abendkasse!
Seiltänzer im Dachstock, gut sechs Jahre nach dessen Release, eine Hommage – an Werk und Künstler. Wenn über das Album gesprochen wird, fällt immer wieder eine Aussage: „Wie ein Buch“. Stimmt, aber was heisst das schon, gibt ja verdammt viel Schrott zwischen Deckeln: Hingerotzte Biografien, Ratgeberdreck, zeitgeistiger Schund und solches Zeugs türmt sich überall in den Auslagen der Buchhandelsgrossisten. Ketzerei also, „Seiltänzer“ schlicht als Buch zu bezeichnen. „Literatur“, haben darum manche tituliert, aber auch da: Wer bestimmt deren Prämissen wann, wer kritisiert das Schreiben wie, wer erhebt den Anspruch, Denken zu kategorisieren, zu werten? Wer verleiht diesem Rapper warum einen Literaturpreis? Solche Fragen – Tommys Hood. Er zerlegt in Einzelteile alles was uns umgibt. Er analysiert, wovor wir uns nicht entziehen können. Er brütet über dem Diskurs und tut das im Geist sowie am Mic, mit der Schärfe eines Skalpells. Gerappte Dekonstruktion ist das, mit dem Fazit – egal ob in der Liebe, der Kunst, der Politik, den Medien – Widerspruch kann nicht enden, jede Haltung evoziert ihn, jedes System bringt ihn hervor, das Selbstbild inbegriffen, face it. „Seiltänzer“ ist eine persönliche, wunderbar zerrissene Blaupause solcher Abhandlungen, und von dem Versuch – was noch viel wichtiger scheint – daran nicht gänzlich zu zerbrechen. In einer Gesellschaft dominiert von Technokraten, wünscht Mensch sich mehr solche Durchschläge. Sollen Haters schnöden wie sie wollen – Stimme, Arroganz, Anmassung – aber TOMMY VERCETTI hat mit „Seiltänzer“ ein Kunststück vollbracht, welches in seiner Konsequenz und Dichte seinesgleichen sucht. Das muss nicht gefallen – bleibt aber weit über die Spartengrenze hinaus unerreicht. Es gilt den Hut zu ziehen, nicht nur an diesem Abend, aber auch an diesem Konzert. (txt:üd)