Aus einer improvisierten Jamsession in Wiesbaden ist innerhalb weniger Jahre ein eigener Kosmos geworden. Dass sich die Wege der Musiker Daniel Brandt, Jan Brauer und Paul Frick kreuzten, ist nicht weniger als eine regelrechte Sensation und ein Glücksgriff für die Szene gewesen. Die Schnittmenge von klassischem Instrumentarium und repetitiven Technopattern, mit akademischem Background aber einer unbedingten Hingabe an den Körper und den Dancefloor, brachte 2010 mit dem Debütalbum „You Make Me Real“ eine frische, geekige und sympathische Brise in das von Retro- und Oldschoolmania geprägte Clubmusikbusiness. Oldschool ist der Ansatz von Brandt Brauer Frick gewissermaßen zwar auch, führte aber statt nach Vintage klingenden 808-303-909-Emulationen am Laptop gleich direkt zu einem zehnköpfigen Ensemble mit Harfe, Cello, Kontrabass und Vibraphon. So was hatte man in dieser Form bislang weder gehört, noch gesehen.
Die drei zeigten sich unterdessen in einer Sache dann aber doch sehr altmodisch. Statt auf die Vereinfachung durch digitale Technologien zu setzen, wurden keine Mühen gescheut, um ihre musikalische Vision auch so umzusetzen, wie sie es sich ausgedacht haben. Das Schreiben von kilometerlangen Partituren für das zweite Album „Mr. Machine“, wie auch das aufwändige Touren mit den Ensemblemusikern und ihren sperrigen Instrumenten. Nüchterne Kosteneffizienz im Stile eines SD-Karten spielenden Ibiza-DJs sieht anders aus. Brandt Brauer Frick ist von Beginn an auch ein ehrgeiziges und vor Willen strotzendes Projekt gewesen. Ein Kraftakt. In den Folgejahren ging es um die Welt. Lincoln Center New York, Centre Pompidou in Paris, Festivals wie Mutek, Coachella, Sonar, Glastonbury, Montreux. Wie kein zweiter Act schafften sie es, Pillenraver und beflissene, halstuchtragende Hochkulturconnaisseure gleichermaßen im Technotempel Berghain zu vereinen und zu begeistern. Zwar machte man mit der Verbindung von Orchesterinstrumentarium und Clubbeats ein nach Schubladisierung bettelndes Fass auf. „Irgendwann wurde die Art und Weise, wie wir von den Medien eingeordnet wurden auch ein bisschen anstrengend. Journalisten stellen 1.000-mal die selbe Frage: Wie kamt ihr auf die Idee, Klassik und Techno zu verbinden? Das war ja nie die Idee. Das haben wir in der Form nie behauptet“, erklärt Jan Brauer im 2012 bezogenen, gemeinsamen, neuen Studio in Berlin-Neukölln. Hier probte man mit Francesco Tristano für gemeinsame Auftritte und auch das nun erscheinende Album „Miami“ wurde hier aufgenommen und produziert. Das Ambiente erinnert weder an ein typisches Produzenten-Tonstudio mit dicker Konsole, noch an ein Konservatorium. Vielmehr ist es ein klassischer Bandproberaum mit großer Flohmarktcouch und ein paar verstaubten Bierflaschen auf dem Boden. Brandt Brauer Frick sind in der Zwischenzeit nicht nur zu den schlipstragenden Musterbuben der Genreauflösung von E und U, sondern auch zu einem richtigen Organ aka Band gewachsen.
„Beim ersten Album spielte das Konzept noch eine wichtige Rolle. Es war sequentiell, minimalistisch und formell. Seitdem wir das Studio hier haben, arbeiten wir anders“, meint Daniel Brandt. Paul Frick ergänzt: „Früher musste ich immer nach Wiesbaden zu unseren gemeinsamen Sessions, jetzt ist dieses Studio unser künstlerischer Mittelpunkt. Wir gehen seitdem viel offener an die ganze Sache heran. Der Sound wurde voller, freier, es passieren mehr Zufälle. Wir haben auf Miami auch teils wirklich krude Takes und Fehler mit verarbeitet.“ Die Stimmung in der Band war nach den langen Touren allgemein „rougher, dunkler“. Miami ist von der Bandbreite her versatiler geworden. Noch immer gibt es diese signifikanten Pianopräparierungen und polyrhythmischen Percussion-Sequenzen. Allerdings befreit sich das Klanggerüst vom 4/4-Diktat der Vorgängeralben und das hat diverse Gründe: „Anfangs wollten wir ja Musik machen, die in DJ-Sets passt, aber auch das hat bereits nie geklappt“, erklärt Jan mit einem Lachen, „aber durch die Festivals haben wir gemerkt, dass das reine Technoding gar nicht so gut im Livekontext funktioniert. Wir wollten nicht immer den gleichen Track machen, auch mal songorientierter mit Gesang arbeiten. Drone und UK Bass haben uns in letzter Zeit auch beeinflusst. Rein instrumental weiter zu machen, erschien uns nicht richtig.“ Gemeinhin sind Begriffe wie Songs oder Vocals in solch einem Kontext nicht frei von Reizen. Die vermeintliche Pflicht des Pop, die schon viele Underground-Acts nach einem ersten weltweiten Erfolg zunächst in die Verzweiflung und dann in die Bedeutungslosigkeit getrieben hat. Bei Brandt Brauer Frick stehen die Zeichen allerdings anders. Wer bei den Vocalfeatures von Jamie Lidell, Grammy-Nominee Om‘mas Keith, Nina Kraviz, Gudrun Gut und Erika Janunger weichgespülte Radioschmeicheleien erwartet, dürfte enttäuscht werden. Auf Miami wird man keine schmissigen Refrains finden, man geht möglichst „unorthodox“ (ein Wort das Paul Frick immer wieder gerne benutzt) mit dem Material um. Man schwurbelt und zerrt an den Stimmen. Der hier entstehende Sound ist eine Weiterentwicklung ganz im Sinne der Erfinder. Er fordert den Kopf des Hörers, möchte nicht einlullen. Er ist dynamischer als zuvor und dabei vor allem eines: er lässt cineastische Spannungen entstehen. Man fühlt sich wie in einem Schwarzweiß-Filmklassiker der Gattung „Es geschah am hellichten Tag“. Indifferent subbige Bässe, perkussive Mathematikrätsel, kristalline Harmoniehimmel, die sich sporadisch, aber in den richtigen Momenten auftun. Blut, Schweiß und Tränen, ein später elektronischer Gegenentwurf zur enthumanisierten Menschmaschine von Kraftwerk. Miami ist vor allen Dingen ein richtiges Album geworden. Etwas, das in Zeiten von iTunes, Podcasts und kurzen Aufmerksamkeitsspannen immer seltener geworden ist, etwas, das man vom Anfang bis zum Ende durchhören sollte, um es zu erfassen. Es schimmern Fluxus, John Cage und Helmut Lachenmann noch immer durch. Aber dass auch erfahrene Nebensächlichkeiten eine besondere Rolle spielen können, beweist Miami. „Wir waren 2011 viel in Großbritannien unterwegs und haben daher häufig mit Dubstep-Artists gespielt, auch diese mainstreamigen Ravestep-Sounds, die wir aber immer nur Backstage als tiefes, schepperndes Wummern wahrgenommen haben. Das hat unseren Bass-Sound beeinflusst. Quasi unser Zugang zu Dubstep und UK Bass.“ Wer solche Anekdoten weiß, wird sie beim Hören der Platte sofort wieder erkennen. Denn wahre Kunst ist nicht nur, dass man etwas tut, sondern auch, woraus man etwas macht, und wie.