„Sei ein Faber im Wind“
Universal
Auf seinem Debütalbum „Sei ein Faber im Wind“ verwandelt der Zürcher Songschreiber Faber vermeintlich Profanes in Wahrhaftigkeit. Faber ist keiner, der über das Leben singen würde, ohne überhaupt gelebt zu haben. Das macht seine Musik so wertvoll.
Wir leben in verlogenen Zeiten. Und deshalb brauchen wir jetzt unbedingt ein Album, das mit folgenden Worten beginnt: „Es ist so schön, dass es mich gibt“. Also Musik, die sagt: Erzähl mir doch nichts! Infantile Poesiealben-Weisheiten, Kalenderblattphilosophie, die Geschwätzigkeit der sozialen Netzwerke – alles Quatsch! „Bleib dir nicht treu“, „sei niemals du selbst“ und vor allem: „Halt dich an keiner Regel fest“. Insofern ist es sehr gut, dass es dieses Album jetzt gibt: „Sei ein Faber im Wind“ enthält alle hier zitierten Zeilen und noch viel mehr. Es ist die beste Songschreibermusik, die seit Langem auf Deutsch getextet wurde. Ein Affront gegen die Verbrämung von Sprache in schmutzigen Zeiten.
Der Zürcher Songschreiber Faber singt „ficken“ und „blasen“, er nennt einen Song „Brüstebeinearschgesicht“ und lässt den Protagonisten „im Stehen pissen“. Ganz klar: Faber ist keiner für Leute, die bei Faber an Sekt denken und Max Frisch nie gelesen haben. Insofern stimmt es auf jeden Fall: Es ist wirklich schön, dass es ihn gibt. Und dass der eingangs zitierte Song – „Wem du’s heute kannst besorgen“ – später eine ganz andere Wendung nimmt, dass hier ganz generell nichts so ist, wie es auf den ersten Blick erscheint, sondern meist viel klüger und variantenreicher: das macht die Fabermusik dann erst so richtig interessant.
Doch der Reihe nach. Schon immer hatte Faber eine ganz genaue Vorstellung, was er mit seinem Leben anfangen wollte. Der als Jimmy Ragusa vor 23 Jahren geborene Musiker ist italienischer Abstammung, wuchs aber in Zürich auf, also einer Stadt, die Geld über alles stellt und Standesdünkel pflegt wie keine andere, was später noch wichtig wird. Bereits der Vater macht Musik, aber die in der Schweiz weit verbreitete musikalische Früherziehung interessiert den jungen Faber nicht. Er will lieber gleich was Richtiges machen. Und als sich mit zwölf die Möglichkeit ergibt, sich einer Band anzuschließen, ist er sofort dabei. Er, der vorher noch nie einen Bass in der Hand hatte, spielt nun Bass.
Faber gibt Konzerte mit der Band, beginnt ungefähr mit 15, parallel eigene Songs zu schreiben und macht irgendwann Abitur. Allerdings nicht, um zu studieren: „Ich wusste sowieso, dass ich nicht arbeiten möchte“, sagt er. „Nach der Schule war klar: Es gibt keinen Plan-B, ich muss einfach nur genau das hier machen, nichts Anderes.“ „Das hier“ war Musik. Und weil die anderen aus der Band die Dinge langsamer angehen wollten als er, war die Band plötzlich nicht mehr das richtige. Die anderen wollten studieren, suchten Sicherheit. Faber suchte das Abenteuer. Er hatte keine Zeit und keine Geduld, es ging sofort um alles.
Geld braucht er natürlich trotzdem, weil Zürich. Schon während der Schule hatte Faber gemerkt, dass man mit Italo-Schlagern Geld verdienen kann und auch noch eine Menge lernt. Also macht er das jetzt: Auftritte in Restaurants und bei Hochzeitsgesellschaften und ähnlichen Anlässen. Mit festen Terminen, jeden Donnerstag oder Sonntag, parallel arbeitet er weiter an seinen eigenen Songs. Vor allem aber beherrscht er tatsächlich all diese herrlichen italienischen Klassiker: Adriano Celentano, Umberto Tozzi, Eros Ramazotti – Faber kennt und kann sie alle. Zumindest im Großraum Zürich ein komplettes Alleinstellungsmerkmal. „Es gibt haufenweise italienische Restaurants, und alle wollen das originale Flair vermitteln“, sagt er. „Man bekommt etwas zu essen, die Leute sind nett, es ist eine gute Schule – das hätte ich auch immer so weitermachen können.“
Aber er hat andere Pläne. In den Restaurants muss er sich die Aufmerksamkeit des eigentlich mit Essen und Reden beschäftigten Publikums erkämpfen. Das kommt ihm zugute, als er beginnt, die ersten kleinen Konzerte mit seinen eigenen Sachen zu spielen. Nach einigen Experimenten schält sich schließlich eine feste Bandbesetzung heraus. Tillman Ostendarp (Posaune & Schlagzeug), Janos Mijnssen (Bass), Silvan Koch (Piano) und Max Kämmerling (Gitarre) erweisen sich als die perfekte Besetzung für den Fabersound, es fehlt jetzt nur noch ein größeres Publikum. Das findet sich erst, nachdem er Sophie Hunger seine Musik vorspielt und die ihn mit auf eine Deutschland-Tournee nimmt. „Auf dieser Tour habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass es in Deutschland tatsächlich Leute gibt, die sich für Musik mit deutschen Texten interessieren. In der Schweiz ist das absolut nicht so, dafür gibt es keinen Markt.“
Die erste EP finanziert er noch mit Crowdfunding, ein Jahr später folgt bereits eine zweite, es geht jetzt immer schneller. Faber ist Einzelkämpfer, kümmert sich um alles selbst, spielt auf Einladung im Vorprogramm von AnnenMayKantereit, lernt die richtigen Leute kennen. Irgendwann ist es soweit: Das erste Album steht an. Zwangsläufig lässt Faber nun andere Leute in sein musikalisches Reich. Einen Produzenten, eine Plattenfirma und so weiter. Künstlerische Autonomie bedeutet ihm alles, doch diesbezügliche Sorgen erweisen sich als unbegründet, als Faber den Produzenten Tim Tautorat trifft und sich auf Anhieb wunderbar mit ihm versteht. Im Verlauf eines ersten Kennenlernabends kommen die beiden sich näher, danach ist Faber sicher: das ist der ideale Mann! „Wir haben im Prinzip alles so gemacht, wie ich es machen wollte“, sagt er zu den Aufnahmen von „Sei ein Faber im Wind“. „Aber wenn Tim Kritik geäußert oder Verbesserungsvorschläge gemacht hat, hatte er jedes Mal Recht.“
Aufgenommen wurde „Sei ein Faber im Wind“ in den legendären Berliner Hansa Studios. Allerdings nicht wegen David Bowie oder U2, sondern weil Tautorat (Herbert Grönemeyer, Manic Street Preachers u.a.) dort ohnehin sein Studio unterhält. Fabers Ziel: Den Spirit der ausgefeilteren ersten mit dem der ziemlich roh produzierten zweiten EP zusammenzuführen. Man kann sagen: das ist ihm gelungen. Und mehr als das: „Sei ein Faber im Wind“ bringt erstmals alles auf den Punkt, worum es in dieser Musik geht, und das ist eine ganze Menge.
So zapft Faber Quellen an, die sonst niemand im aktuellen deutschsprachigen Pop kennt, zumindest nicht in dieser Altersgruppe. Faber ist mit den alten sizilianischen Volksliedern aufgewachsen, er liebt Trubači, die coolen Chanson-Franzosen, Polka, aber auch Folk und Nuancen aus den alten amerikanischen Stilen, bisweilen blitzt eine Slide auf. Man denkt an Francesco Paolo Frontini, Jacques Brel, Georges Moustaki oder an Fabrizio de André, dessen Spitzname ebenfalls Faber war. Das Verdienst des Fabers, um den es hier geht, ist nun, dass er all diesen Einflüssen die distinguierte Rotweinseligkeit austreibt und sie auf die Straße zerrt, wo sie herkommen und hingehören. Faber baut immer wieder Brüche ein, ein desparates Element, eine gewisse Tomwaitshaftigkeit. Er überführt diese Stile in den Pop, unter seiner Hand vereinen sie sich zu einem hochindividuellen, ganz neuen Genre: Fabermusik.
„Sei ein Faber im Wind“ verhandelt eingängige Melodien mit stampfenden Beats. Es geht immer um absolut alles und irgendwie auch um nichts, weil manchmal ja alles so herrlich egal sein kann. Wir hören Posaunen und Gitarren und Geigen und ein Klavier und vor allem hören wir diese Stimme. Faber singt seine Lieder mit einem gewaltigen Furor und maximaler Hingabe. Es liegt auch an dieser verzehrenden, ja: sich selbst beinahe aufzehrenden Stimme und der Art, wie sie eingesetzt wird, dass hier vermeintlich Profanes zu großer Wahrheit wird. Denn Zeilen wie „kann ich bitte deine Tits sehen“ oder „zieh dich aus, du kleine Maus“ klingen bei Faber komischerweise weder billig noch ordinär. Muss man auch erst mal schaffen.
Aber zurück auf Anfang: Das Lied „Wem du’s heute kannst besorgen“ erzählt im Prinzip von einem Missbrauch. Schmieriger älterer Typ mit Geld, junges Mädchen, es ist ein bisschen widerlich. Aber ehe man das begreift, ist das Lied schon zur Hälfte vorbei. Es hätte genauso gut ein romantisches Liebeslied werden können, aber so was interessiert Faber nicht. Was ihn interessiert: auf sehr doppelbödige, mal subtile, mal extrem brutale Weise Heuchelei und Heile-Welt-Quatsch zu demaskieren. Und die Leichtigkeit, mit der ihm das gelingt, macht diese Musik sehr besonders.
In „Nichts“ sing er über Nostalgie und Besserwisserei als einzig verbliebende Währungen des neidzerfressenden Biedermanns, der angeblich auch mal jung war. „Es könnte schöner sein“ beschreibt wiederum die Spießigkeit der Neo-Biedermeier-Millenials: „Du rebellierst, du bist dagegen / Immer wenn’s zur Stimmung passt / Du hast einen Schirm dabei bei Regen / Ein Pyjama für die Nacht“. Keiner bleibt verschont, jeder kriegt mal einen mit. Ein altkluger Prediger ist Faber indes nicht. Er hat keine Rezepte, er weiß nichts besser. Aber er lässt jenen scharfen Blick mit lakonischer Lässigkeit in seine Texte einfließen, aus dem Wahrhaftigkeit entsteht. Faber ist gerade einmal 23, klingt und schreibt aber wie ein 50-Jähriger – und die jungen Alten sind natürlich die besten Alten, die wir haben.
Aber auch wenn Faber an der Grenze zum Sarkasmus operiert und zur Galligkeit neigt: ein Misanthrop ist er nicht. Denn dann könnte er folgende Zeilen nicht mit jener Hingabe und tiefen Verzweiflung singen, die aus bitterer Selbsterkenntnis erwächst: „Ich rauch und ich sauf / Denn ich brauch nicht zu sehen … wie sehr du enttäuscht bist / Von mir.“ Denn natürlich ist ihm keineswegs alles egal, ganz im Gegenteil. Gerade weil ihm die Dinge, über die er singt, so wichtig sind, verrät er seine Themen nicht an Kitsch und Gefühlsopulenz, wie das in diesen Tagen so viele tun, die Wahrhaftigkeit für sich reklamieren, aber doch nur hohle Schlagerstanzen abspulen.
Es geht generell ein bisschen arg heuchlerisch zu in diesen Zeiten und einfach ist nichts. Darüber kann man dann ja auch mal ein bisschen galliger singen, wie im Song „In Paris brennen Autos“: Die einen ertrinken im Überfluss / Die anderen im Meer / Ein Terrorist sprengt glücklich / Einen Flughafen leer / Und ein Nazi schiesst zufrieden auf sein Flüchtlingsheim / Da fühlt man sich als Mensch manchmal allein.“ Diese Musik lässt einen niemals alleine, weil sie sich nicht an etwas so Banales wie Trost verschwendet.
Anders gesprochen: Faber ist keiner, der über das Leben singen würde, ohne überhaupt gelebt zu haben. Das macht seine Musik so wertvoll. Also sei ein Einhorn und nicht du selbst. Und wenn du kein Einhorn sein kannst, sei ein „Faber im Wind“.