„Ob ds schönschte Meitschi vom Breitsch oder d Lorraine-Prinzässin, s chunnt immer druf a wär luegt“; aus dem Song „Lorraine“
Nicht nur einzelne Szenen sind filmreif, dieses ganze, pralle Leben von Nisu Tanner ist es. Kein abgedroschener Hollywood-Blockbuster, nichts mit Schmelz und Kitsch, dies ist eine veritable Arthouse-Perle über die Musik als Berufung und Leidenschaft. Kein Actionreisser, sondern ein Künstlerporträt voller Empathie und Sehnsucht, mit ironischem Augenaufschlag und mächtig viel Unterhaltung, Trommelwirbeln und furiosen Bläserfanfaren. Die Stunts und natürlich auch den Soundtrack übernimmt Nisu gleich selber, dazu kommen kübelweise Herzblut und grelle Farben. Ein wildes Feuerwerk aus Tönen und Worten, von Bern aus abgefeuert, sichtbar meilenweit, verständlich überall.
Lassen wir also diesen Film laufen. Erster Einblender: 1976, eine Hippie-Landkommune in Villeret. Hier wächst Nisu mit seinen Eltern auf, Selbstversorgung, kaum Grenzen, schier unendlich viele Möglichkeiten. Text: „Irgendwann wurde es meinen Eltern dann doch zuviel, vor allem der Punkt mit der freien Liebe, und wir haben das alles hinter uns gelassen.“
Zweiter Einblender: 1981, das erste Konzert, mit ultrajungen fünf Jahren, Nisu am Schlagzeug der Punkband Black Stars. Im Jubiläumsbuch der Brasserie Lorraine existiert übrigens ein bildlicher Beweis für alle Ungläubigen unter Ihnen. Text: „Unser Markenzeichen war ein aufgemalter schwarzer Stern über dem einen Auge. Wir machten jeweils eine Kollekte und verdienten so unser Sackgeld. Gekauft haben wir uns davon dann Luftgewehre, das ist halt die klassische Doppelmoral einer Kinderband.“
Dritter Einblender: 1987, Zaffaraya-Besetzung. Die Black Stars spielen als Vorband für Züri West. Die Instrumente können noch knapp in Sicherheit gebracht werden, ehe die Polizei zur Räumung schreitet. Text: „Wir waren an diesem für Bern historischen Tag live dabei und dann erst noch aktiv auf der Bühne. Das können wirklich nicht viele sagen.“
Vierter Einblender: 1991, die erste ernsthafte Band. Text: „Inspiriert vom Film ‚The Commitments‘. Wir wollten genauso sein wie sie. Das wollten damals viele in diesem Alter. Mit einem zügellosen Lebenswandel, inklusive Groupies und dem ganzen Zubehör.“ Nisu beginnt einen Ausbildung zum Lehrer, bricht nach einem Jahr allerdings wieder ab und wechselt nach Zürich an die Academy of Contemporary Music (ACM). Er weiss nun definitiv, dass er zur Musik gehört – und sie zu ihm.
„Mit dem Hip Hop-Fieber angesteckt wurde ich in der Crossover-Phase anfangs der 90er-Jahre. Durch Bands wie Rage Against the Machine, Red Hot Chili Peppers, Living Colour, die haben mich elektrisiert. Ich näherte mich der Sache von meiner Kindheit und der harten Seite her an.“ Wer aber erwartet, dass Nisu auf „Homo Sapiens“ den Dampfhammer auspackt und schwere Säcke in den Kohlenkeller schleppt, wird überrascht. Luftig leicht schweben diese Songs vom sommerblauen Himmel herab auf einen glasgrünen Tisch in der Gartenwirtschaft nieder, das erste Bier ist schon serviert. Die leichten Texte werden getragen („A aui Froue da usse, hüt wäri eifach ds ha“), die zeitkritischen mit Tiefe wie der Titelsong über das Leiden der Erde am „Homo Sapiens“, sind sanftmütig verpackt. Doch selbst Herbstblätter und Schneeflocken finden sich auf dem Album in reicher Fülle, Nisu ist ein Mann für alle Jahreszeiten. Produzent Dam Brülhart (Mad Adam) gelingt es eindringlich, Nisus Inspiration und Urstoff aus den 90er-Jahren ins Zeitgenössische zu transformieren und das elektronische Element zu unterstreichen. Hip Hop von einem mittelalten Hasen für das Hier und Jetzt. Doch wer beim Hören von „Homo Sapiens“ nebst vielem anderen auch an Pop denkt, muss sich nicht schämen, sondern darf sich stolz auf die Schulter klopfen. Da wollten Nisu und Dam nämlich ebenfalls hin. Und sind heil angekommen.