1220
Yung Hurn wird seit seinen ersten musikalischen Ausrufezeichen eine ganze Menge
zugeschrieben. Er ist (u.a.) Punk, Dadaist, Avantgardist, Stilikone, oder auch: »krank offiziell«! Selbstverständlich ist all das wahr. Am 04. Mai erscheint nun »1220«, sein Albumdebüt. Es ist – wie bereits sein erstes Mixtape – seiner Heimat gewidmet, der Wiener Donaustadt.
Yung Hurn ein Star wider Willen. Einer, der sich den Gesetzmäßigkeiten der HipHop-Welt verweigert und gerade deshalb Künstler aller Couleur, Schriftsteller oder Modemacher anspricht, die in ihm einen Dadaisten für’s 21. Jahrhundert sehen. Die Yung Hurn-Liebe der Kulturbohème geht mittlerweile sogar so weit, dass Yung Hurn kürzlich in einem Anzug von Gucci von der Modebibel Vogue angepriesen wurde. Auf der anderen Seite wird Yung Hurn aber genauso von tausenden Teenagern vergöttert – sie sehen in ihm einen modernen Rebellen, der all das macht, was sie sich niemals trauen würden. Yung Hurn verbindet also Menschen, die niemals ahnen würden, dass sie etwas gemeinsam haben.
Warum das so ist? Vielleicht, aber nur ganz vielleicht, weil seine Haare so schön sind wie die von Karl-Heinz Grasser (ehemaliger und mittlerweile mehrfach verklagter Finanzminister Österreichs), wie Y. Hurn selbst behauptet. Eine gewisse Rolle dürfte zudem spielen, dass dieser zwar ein Künstler ist, der die sozialen Netzwerke zur Erweiterung seiner künstlerischen Identität virtuos benutzt, dennoch aber wirklich wenig Privates preisgibt. Alter? Unbekannt. Beziehungsstatus? KA. Interviewanfragen werden meistens abgelehnt oder mit der Frage gekontert, ob man für das Interview denn einen Ferrari mieten könne, ohne den würde es leider nicht gehen. Zudem kann man sich bis heute nicht ganz sicher sein: Sind all die trashigen Insta-Posts, das Spiel mit seinen verschiedenen Künstler-Alter Egos (wie K. Ronaldo oder Fiona Swarovski Jr.) und seine unberechenbare Kommunikationsstrategie (immer mal wieder für Bonmots gut: Yung Hurn auf Twitter, z.B.:» cheeseballs + ja! eistee + acrylbong + crash bandicot so leben götter«) allesamt Teil eines ausgeklügelten Kunstfigur-Entwurfs oder doch nur Kapriolen eines chaotischen Kopfes, der das Glück hat, dass dieser dann und wann den Zeitgeist so perfekt trifft wie kaum ein anderer junger deutschsprachiger Musiker?
Auch wenn Yung Hurn nämlich gefühlt noch wirkt wie ein Newcomer, hat er bereits mehr (Underground-)Hits auf dem Kerbholz als die meisten seiner Kolleginnen & Kollegen im Laufe ihrer gesamten Karriere zustande bringen. Da war »Nein«, seine im Juni 2015 erschienene Absage an alles und jeden, mit der Yung Hurn sein Anti-Establishment-Image
etablierte, im dazugehörigen Video Wodka trinkend, weiße Pulver ziehend und Ming-Vasen tragend durch Wien gurkte, und damit direkt polarisierte. Seitdem ist es so gut wie immer so, wenn ein neuer Yung Hurn-Song rauskommt: entweder man liebt oder man hasst ihn. Ganz ähnlich lief es bei »Opernsänger«, eine schief auf Autotune gesungene Ode an eine Dame, mit der sich Yung Hurn als nicht ganz so heimlicher Romantiker im Herzen offenbarte. Und dann gab es natürlich auch noch »Bianco«, sein Duett mit Rin, hier waren sich ausnahmsweise alle einig, von Haftbefehl & Xatar, die den Song gemeinsam mit dem Duo auf dem splash! performten, bis zu den Feuilleton-Redakteuren und den Teenies: das Ding war DER Sommerheit 2016. Außerdem hat Yung Hurn es in der Zwischenzeit sogar geschafft, Lars Eidinger, einen der bekanntesten Schauspieler Deutschlands, in einem seiner Musikvideos zum Weinen zu bringen und eine Band hat er ja mittlerweile auch gegründet: die Love Hotel Band.
Bevor er mit dieser aber ins Studio geht, hat Yung Hurn, der mal in einem Arte-Interview sagte, gute Texte seien für ihn nur jene, für die er höchstens zehn Minuten brauche, zunächst einmal für seine Verhältnisse sehr lang an einem Projekt gearbeitet – nämlich an seinem Debütalbum »1220« (die Postleitzahl des 22. Wiener Gemeindebezirks). Gemeinsam mit DJ Stickle als ausführendem Produzenten sind so 14 Ohrwürmer voller lyrischer Perlen zwischen Nonsens und großer Kunst entstanden, die die Lebensrealität eines jungen Künstlers widerspiegeln, der es trotz konsequenter Anti-Establishment-Haltung zu einer gewissen Berühmtheit in derselben geschafft hat. Ob er nun in Wien oder Berlin auf eine Party geht, ständig wollen alle ihm Bussis geben, dabei zählt Yung Hurn seine Freunde nichtsdestotrotz immer noch »von seinen Händen«, wie er auf dem glitzernden »Sie schauen« verkündet – deshalb ist der einzige Featuregast auf der LP auch sein guter Freund Jonny 5.
Viele Songs auf dem Album knacken nicht ganz die 3-Minuten-Grenze – und auch das könnte eine bewusste Entscheidung sein – oder eben nicht. In jedem Fall ist das Skizzenhafte die große Stärke von »1220«: nichts klingt perfekt, alles ist angedeutet, alles könnte alles bedeuten, alles ist alles (oder eben nichts). So ist dieses Album der konsequente nächste Schritt in der Karriere von einem, der, wie er in einem seiner wenigen Interviews mal sage, eigentlich gar nichts langweilig findet und weder zuviel noch zu wenig vom Leben erwartet. Ein Album voller Songs, die alle so klingen als wären die Musik und das Leben nichts weiter als ein Kinderspiel: federleicht, ungeniert und wahnsinnig eingängig. Und wer weiß: Vielleicht kommt Yung Hurn dem existenziellen Kern des Lebens im 21. Jahrhundert ja näher als die meisten Künstlerinnen und Künstler vor ihm.